Statement zum Umgang mit russischen Filmen

Mit der Veröffentlichung des Programms des 53. Internationalen Studierendenfilmfestival Sehsüchte wurde das Festivalteam durch eine Gruppe von Mitstudierenden kontaktiert, welche das Ausschließen aller in Russland entstandenen Werke aus dem Sehsüchte-Programm forderten. In einem anschließenden gemeinsamen Dialog zwischen Verterter:innen des Festivals, der Hochschulleitung und betreuenden Lehrkraft für Sehsüchte sowie den Unterzeichner:innen der Kritik, haben wir persönlich unsere Sichtweisen ausgetauscht. Um unsere Haltung als Festival transparent offenzulegen, möchten wir hier den bisherigen Prozess der Entscheidungsfindung aufzeigen. 

Seit dem Beginn der Arbeit an der 53. Ausgabe tauscht sich das Festivalteam über eine Strategie zum Umgang von Filmen aus den aktuellen Krisenherden der Welt aus. Bei den gemeinsamen Diskussionen mit Lehrverantwortlichen lag ein besonderer Fokus auf Filmen aus Russland. Uns alle beschäftigt der andauernde, grausame Angriffskrieg auf die Ukraine und unser vollstes Mitgefühl gilt allen vom Krieg betroffenen Menschen vor Ort, hier und überall. 

Als studentisches Filmfestival verstehen wir uns als Plattform für kritischen Austausch über die Werke und die mit ihnen verbundenen politischen Zusammenhänge. Ein inhaltlich vielfältiges und anspruchsvolles Programm soll nicht nur unterhalten, sondern auch Denkanstöße bieten und Diskursräume öffnen. Einen kategorischen, herkunftsbedingten Boykott russischer Filmemacher:innen halten wir deswegen für falsch. Statt einer vollständigen Isolation scheint uns das richtige Signal, einige Verbindungen zu halten, auch um unabhängigen Kulturschaffenden nicht die Möglichkeit zu verwehren, sich – soweit sie können – kritisch über das verbrecherische Regime zu äußern.

Statt eines kategorischen Boykotts haben wir uns deswegen dazu entschieden, Filme, die an staatlich geförderten Universitäten entstanden sind, aus dem Wettbewerb auszuschließen. Filme, bei denen wir keinen direkten staatlichen Bezug feststellen konnten, haben wir hingegen aufgenommen. Voraussetzung war jedoch auch hier, dass weder im Film noch bei den regieführenden Personen propagandistische Motive oder Aggressionen sichtbar waren.

Insgesamt wurden so von uns vier Filme in das Programm aufgenommen: In Wettbewerben sollten zwei an kommerziellen, nicht-staatlichen Filmschulen entstande Filme laufen. Außerhalb des Wettbewerbs waren ebenfalls zwei Filme platziert, die an staatlichen Universitäten entstanden sind. Andere Filme wurden aufgrund der Prüfung gänzlich aus dem Programm ausgeschlossen.

Auf die Veröffentlichung des Programms hin kontaktierte uns eine Gruppe von Mitstudierenden, welche das Aufnehmen der oben genannten Filme bereits öffentlich kritisiert hatte, mit der Forderung, alle in Russland entstandenen Werke aus dem Programm zu nehmen. In einem anschließenden Dialog zwischen dem Festivalteam, der Hochschulleitung und der betreuenden Lehrkraft für Sehsüchte sowie den Unterzeichner:innen der Kritik, haben wir unsere Sichtweisen ausgetauscht. In diesem Gespräch präsentierte die Studierendengruppe Informationen zu den Filmen und Universitäten, die dem Festivalteam zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. 

Obwohl das Festivalteam einen generellen Kulturboykott nicht befürwortet, ist es uns sehr wichtig, die Stimmen von Betroffenen zu hören und ihre Einwände ernst zu nehmen. Allem voran sind die neuen Informationen zu den Werken und Filmschaffenden maßgeblich für die erneute Entscheidungsfindung. Die neuen Rechercheerkenntnisse zeigen, dass die Filme oder Universitäten mehr staatliche Unterstützung erhalten haben, als vorher bekannt war. Wir verstehen die Haltung der ukrainischen Studierenden, die sich durch das Zeigen der Filme im Stich gelassen fühlen und sind konsensuell zur Entscheidung gekommen, die Filme aus dem Programm zu nehmen. 

Im Dialog wurden zudem Wege erarbeitet, wie ein Umgang mit Filmen aus Russland sowie anderen kriegs- oder krisenbehafteten Regionen der Welt bei zukünftigen Ausgaben des Festivals gestaltet werden kann.