„Spalter-Filme machen das Programm erst interessant!“

Die 50. Jubiläumsausgabe des Filmfestivals Sehsüchte steht kurz bevor. Zum Festivalstart gewähren Nina Dekker und Philipp Eichel, Koordinator:innen des Hauptprogramms, Einblick in ihre Arbeit und in das diesjährige Programm.

Zunächst die hard facts: Wie viele Filme aus wie vielen Ländern laufen denn im diesjährigen Programm? Und wie viele Einreichungen gab es?

Nina & Philipp: Insgesamt haben wir 107 Filme aus 35 Ländern im Programm, die Spezialprogramme (Future, Retrospektive, Fokus Produktion, Showcase und 360°) miteingerechnet. Eingereicht wurden über 1000 Filme!  

Wie läuft der Auswahlprozess ab?

Philipp: Der Startschuss war der Call for Entries im November 2020, d.h. von da an konnten Filmemacher:innen ihre Filme einreichen. Direkt am Wochenende danach fand das erste gemeinsame Gruppensichten mit allen Teammitgliedern des Programms im Kino in der Filmuniversität statt. Von Ende November bis zur ersten Februarwoche wurde zu zweit gesichtet, auch über Weihnachten. 

Nina: Jeder Film wird von zwei Personen aus dem Sehsüchte-Team gesichtet, die dann gemeinsam entscheiden, ob dieser in die nächste Phase aufgenommen wird. So entsteht eine solide Vorauswahl und das gesamte Team erhält die Möglichkeit in die Filmeinreichungen reinzuschnuppern.

Philipp: In den letzten drei Februarwochen ging es dann direkt mit der Gruppensichtungsphase weiter. Dabei wird jeder Film, der im Zweiersichten ein grünes Licht erhalten hat, noch einmal mit dem ganzen Team des Hauptprogrammes geschaut. Im Anschluss hat dann jedes Teammitglied eine Stimme und es wird final für oder gegen den Film gestimmt. In der ersten Märzwoche haben wir angefangen zu programmieren, d.h. die Auswahl finalisiert und die Filmblöcke zusammengestellt.

Sehsüchte
Nina Dekker und Philipp Eichel

Ihr koordiniert dieses Jahr das Programmteam. Wie war das für euch Beide?

Philipp: Dieses Jahr musste der gesamte Prozess digital organisiert werden, was eine ganz neue Erfahrung war.

Nina: Jede*r sitzt alleine in seinem Zimmer, da ist das Sichten und Programmieren der Filmblöcke definitiv eine Herausforderung.

Habt ihr Auswirkungen auf die Motivation oder die Gruppendynamik bemerkt?

Nina: Wir haben die Filme parallel geschaut und über Zoom diskutiert. Ich war echt überrascht, wie gut das funktioniert hat! Es sind interessante Diskussionen entstanden, obwohl es natürlich etwas gedauert hat, die anderen kennenzulernen und sich wohlzufühlen. 

Philipp: An dieser Stelle ein ganz großes Lob an unser Team, auf das wir uns immer verlassen konnten und die das Ganze – trotz der schwierigen Umstände – durchgezogen haben. Das ist nicht selbstverständlich. 

Nina: Ja, es war nicht immer einfach und vor allem viel Arbeit.  Ohne Durchhaltevermögen geht das nicht. Auch wenn wir am Ende müde waren, gab es eine tolle Gruppendynamik.

Philipp: Am Ende konnten wir gut einschätzen, worauf der*die Andere beim Filmeschauen achtet und wert legt:  Ob auf Ästhetik, auf Action oder mehr auf die gesellschaftlichen und politischen Aspekte. Das war total bereichernd! Dass einem noch einmal klarer wird: worauf achte ICH eigentlich bei Filmeschauen und worauf achten die Anderen? Wir hatten in der Gruppe eine gute Mischung aus unterschiedlichen Perspektiven.

Gab es große Meinungsunterschiede?

Nina: Jede:r  hat die Erfahrung gemacht, dass ein Film, den man selbst sehr mochte, es nicht geschafft hat oder ein Film, den man selbst nicht so mochte, andere begeistert hat. Wir haben aber alle unsere größten Favoriten im Programm. Dafür hatten wir ein System, dass die sogenannten „Spalter“ (Filme, die das Team gespaltet haben) bevorzugt. Das macht unser Filmpropgramm so interessant! Zudem haben wir uns am Leitbild des Festivals orientiert. Wichtig war uns zudem, ein diverses Programm zusammenzustellen – vor und hinter der Kamera. 

Philipp: Das kann ich nur unterstreichen. Wir haben darauf geachtet, dass gesamtgesellschaftlich gesehen auch Stimmen zu Wort kommen, die so nicht unbedingt im Alltag Gehör finden. Aber auch auf transnationaler Ebene war uns wichtig, dass wir andere Perspektiven zeigen können – bezogen auf Themen wie Feminismus oder soziale Ungerechtigkeiten. 

Wie habt ihr dieses Jahr die Filmblöcke zusammengestellt? 

Nina: Manche Filmblöcke sind aus thematischen Gründen entstanden, durch beispielsweise ähnliche gesellschaftspolitische Fragen, welche die Filme ansprechen. Manche Blöcke sind auf einer formellen Ebene, also durch die Filmform selbst, entstanden. Die sechs Shortlists haben uns besonders Spaß gemacht in der Programmierung! Eine Shortlist besteht nur aus Filmen mit Wasserszenen (lacht).

Wie sieht es dieses Jahr mit den Q&A’s der Filmschaffenden aus? Viele können aufgrund der Pandemie nicht anreisen…

Nina: Wir haben von den meisten unserer tollen Filmemacher:innen die Q&A’s in Form eines kurzen Videos erhalten. Aber, wenn das Filmteam es denn schafft da zu sein, werden wir dieses Jahr einige Q&A’s zusätzlich live auf der Bühne in den Kinos durchführen können. Darauf freue ich mich ganz besonders.

Philipp: Uns ist es wichtig, dass trotz der Umstände die Filmemacher:innen zu Wort kommen. Denn der Austausch zwischen Publikum und Filmteam ist ein zentraler Bestandteil eines Filmfestivals. 

Was sind dieses Jahr eure ganz persönlichen Favoriten?

Philipp: So konkret können wir leider nicht werden, aber was wir sehr empfehlen können, sind die Shortlists! Die haben alle Feuer…

Nina: Ich finde die Filme besonders interessant, die nicht so europäisch zentriert sind. Wir haben verschiedene Filme, z.B. aus Lateinamerika, aus Peru, aus Columbien, Mexiko, Argentinien…

Philipp: Auch aus Israel und Südkorea und unsere Highlights aus Finnland! Sehr interessante Filme, die mit der Seh- und Hörerfahrung spielen.

Nina: Wie man merkt, gibt es genug zu entdecken!

Danke für das tolle Gespräch!