Auf Spurensuche

50 Jahre Festivalgeschichte. 50 Jahre, die mal mehr und mal weniger dokumentiert wurden. Zum Jubiläum haben sich Cansin Kuyuköy und Katharina Kauth umfassend mit der Geschichte des Festivals beschäftigt. Welche Überraschungen und Herausforderungen das mit sich brachte, erzählen die beiden im Gespräch mit Eva Lütticke.

Ihr seid beide für das neu gegründete Ressort History zuständig. Was kann man sich darunter vorstellen?

Cansin: Zum 50. Geburtstag von Sehsüchte hat sich die diesjährige Gesamtkoordination dazu entschlossen ein eigenständiges Ressort aufzustellen, welches die Geschichte von Sehsüchte aufarbeitet. Katharina und ich haben dazu in hochschulinternen Archiven gewühlt, uns durch zahlreiche Programmhefte und Pressedokumentationen gelesen und auch einige Zeitzeug:innen-Interviews geführt. Wir sind dabei auf eine spannende Festival Entwicklung gestoßen! 

Katharina: Wir feiern dieses Jahr das 50. Jubiläum des Festivals. Aber eigentlich ist das aus heutiger Sicht nur eine Zahl: Niemand, der heute noch mit dem Festival verbandelt ist, hat seine Anfänge miterlebt. Und weil die Teams jedes Jahr wechseln, gibt es im Grunde kein Festival-Gedächtnis. Das wollten die diesjährige Gesamtkoordination und der Sehsüchte-Verein ändern und haben anlässlich des Jubiläums unser Ressort ins Leben gerufen. Unsere Arbeit kann man sich also wie eine Spurensuche vorstellen. In der gesamten Uni gibt es überall verstreut Orte, an denen Unterlagen zu vergangenen Festival-Editionen gelagert sind: in der Uni-Bib, im alten und jetzt im neuen Sehsüchte-Büro, im Container unten in der Tiefgarage, in der Abstellkammer hinter den Toiletten im dritten Stock von Haus 4 und in einem alten Aktenschrank in einem der Seminarräume. Wir mussten uns erst einmal einen Überblick darüber verschaffen, was es alles wo gibt – um dann mit der Hilfe von zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen und -zeuginnen zu versuchen die übrig gebliebenen Lücken zu schließen. 

Cansin: Während der Festivalwoche zeigen wir die Ergebnisse unserer Recherchen in Form einer Ausstellung im Atrium der Filmuni. Wer nicht vorbeikommen kann, hat die Möglichkeit sich auf unserer Website durch eine digitale Aufbereitung der Sehsüchte-Geschichten zu klicken.

Sehsüchte
Im Studio der Filmuniversität arbeiten Cansin und Katharina an der Umsetzung der Ausstellung. Monatelange Arbeit wird nun endlich sichtbar! Ab dem 21.07. dann auch für alle Besucher:innen des Festivals.

Was hat euch daran gereizt 50 Jahre Festivalgeschichte aufzuarbeiten?

Katharina: 50 Jahre – das ist eine fast schon absurd hohe Zahl. Zumindest erschien es mir so, als ich letztes Jahr hier angefangen habe zu studieren und realisiert habe, wie lange es Sehsüchte schon gibt. Das hat mich einfach neugierig gemacht. Und als die verschiedenen Ressort vorgestellt wurden, schien es für History auch noch keinen klaren Fahrplan zu geben, also auch mehr Freiheit sich auszuprobieren.  

Cansin: Bei mir war das ähnlich; mir gefiel, dass History als ein neues Ressort viele Freiheiten bot. Mich reizte aber auch besonders die Aufgabe, unsere Ergebnisse nach der Recherche einem Publikum zu präsentieren. Sei es die Konzeption einer physischen und einer digitalen Ausstellung, oder die History-Throwbacks auf unseren Social Media Kanälen.

Was war die größte Herausforderungen beim Sichten und Auswählen des Materials?

Cansin: Ganz klar – den Überblick zu behalten. Bei der Menge an Materialien und Quellen war es nicht immer ganz einfach eine Struktur zu bewahren. Dass jede Sehsüchte Ausgabe, von “neuen” Studierenden auf die Beine gestellt wird, ist Fluch und Segen zugleich. 50 Jahre Sehsüchte bedeutet auch 50 Jahrgänge, die das Festival prägten. Bei unserer Recherche sind wir häufig auf neue Aspekte, Menschen, Materialien gestoßen, wo wir uns oft dachten: das könnte man nochmal recherchieren. Meistens mussten wir uns selbst ausbremsen, um uns wirklich nur auf das Wichtigste zu konzentrieren. 

Katharina: Außerdem der Zeitdruck: Wäre die diesjährige Festivalwoche nicht vom April in den Sommer verlegt worden, wären wir nicht annähernd so weit gekommen.

Die Geschichte von Sehsüchte ist keinesfalls geradlinig. Wann gab es die größten (Um-)brüche des Festivals und warum?

Katharina: Nun, ich glaube am Meisten getan hat sich in den 1990ern: ´89 haben die Studententage noch wie gewohnt im Frühjahr stattgefunden. Dann kam die Wende und damit verbunden völlig neue Rahmenbedingungen. Das hat es den Studierenden damals offensichtlich nicht leicht gemacht: Wenige Jahre später stand die Veranstaltung kurz vor dem Aus – bis es 1995 unter dem neuen Namen Sehsüchte einen Neustart gab.

Cansin: Ich würde auch sagen, dass 2006, als die Organisation des Festivals an die Studienordnung des Medienwissenschafts Masters gebunden wurde, ein wichtiger Meilenstein in der Sehsüchte Geschichte darstellt. Von da an wurde es für die Medienwissenschaft-Studierende Pflicht, Sehsüchte zu organisieren.

Sehsüchte
Gespräche mit Zeitzeug:innen und viele, viele Stunden im Archiv werden in Videos, Zitaten und Dokumenten aufbereitet.

Was hat euch am meisten verwundert in der Festivalgeschichte?

Katharina: Einer der ersten Aha-Momente für mich war es festzustellen, dass es nicht nur an der damaligen HFF sogenannte FDJ-Studententage gab, sondern an allen Bildungseinrichtungen bzw. Ausbildungsstätten in der DDR. Und dass dies gesetzlich vorgeschrieben war. Der rasante Aufschwung ab Mitte der 90er bis in die Anfang 2000er ist aber vielleicht am beeindruckendsten.

Cansin: Dem kann ich mich anschließen, die Entwicklungskurve ist wirklich beeindruckend.

Gibt es ein Jahr, das besonders hervorstach?

Katharina: 2002. In dem Jahr wurde die Flamme wie aus dem Nichts zum Symbol des Festivals.

Cansin: Ich kann mich wirklich nicht auf ein Jahr beschränken… in den 2000er und 2010er ließen sich immer mal wieder bekannte Persönlichkeiten auf dem Festival blicken. Darunter: Andreas Dresen, Wim Wenders, Nora Tschirner, Tom Schilling und viele weitere. Wolfgang Joop stiftete sogar in der Zeit einen selbst-designten Preis: Den Wunderkind-Award.

Ihr bereitet eine Ausstellung im Atrium der Filmuni vor, die während der Festivalwoche besucht werden kann. Worauf können sich unsere Gäste freuen?

Cansin: Die Ausstellung in der Uni gliedert sich nach den verschiedenen Namen, unter denen “Sehsüchte” in den vergangenen 50 Jahren stattgefunden hat. Auf insgesamt vier Ausstellungsinseln erstreckt sich die Sehsüchte Geschichte.

Katharina: Wir haben versucht möglichst spannende Dokumente, Fotos und Videos zusammenzustellen und dabei trotzdem einen roten Faden zu behalten. 

Sehsüchte
dream team: Katharina Kauth und Cansin Kuyuköy

Auch Online auf unserer Website habt ihr die Festivalgeschichte in einer interaktiven Ausstellung aufbereitet. Was erwartet unsere Gäste dort?

Katharina: Da das Festival unter Pandemiebedingungen stattfindet, war von Anfang an klar, dass wir auch einen digitalen Zugang zur Ausstellung ermöglichen wollten. Online findet sich also eine Auswahl der Texte und Ausstellungsstücke, die im Atrium der Filmuni gezeigt werden. Wer aber noch tiefer einsteigen möchte hat auf der Webseite zusätzlich die Möglichkeit sich durch die einzelnen Jahre zu bewegen und erhält dort u.a. auch Infos zu den Gewinner:innen der jeweiligen Jahre (sofern wir diese herausarbeiten konnten). Ein kleines digitales Archiv also.

Cansin: Zudem wird es eine Trailer-Mediathek, mit allen Trailern ab 1992 geben. Durch die können sich unsere User:innen dann klicken. Zu Sehen ist auch ein bisher unveröffentlichter und als verschollen geltender Trailer von 1991!

Vielen Dank für das Interview!